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Quotelung von Ausbildungszeiten und der Zurechnungszeit (§ 6 Abs. 1 Satz 4, § 12 Abs. 5, § 13 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG); Entscheidung des BVerwG
Bek. d. MF v. 16. 6. 2010 - 26 21 6/12/13 (Nds.MBl. Nr.24/2010 S.588)
Bezug: Erl. v. 16.6.2010 (Nds.MBl. S.589)

Das BVerwG hat mit Urteil vom 25.3.2010 (BVerwG 2 C 72.08, schriftlich eingestellt am 11.5.2010) entschieden, dass die Vorschriften über die verminderte Ruhegehaltfähigkeit der Ausbildungszeit und der Zurechnungszeit aufgrund von Freistellungen (§ 6 Abs. 1 Satz 4, § 12 Abs. 5, § 13 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG) nicht anzuwenden sind, weil sie gegen das europarechtliche Gebot der strikt zeitanteiligen Abgeltung von Teilzeitarbeit nach § 4 Nrn. 1 und 2 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15.12.1997 verstoßen (Leitsatz).

Das BVerwG begründet seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:

  1. § 6 Abs. 1 Satz 4 steht im Widerspruch zu § 4 Nrn. 1 und 2 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15.12.1997. Dieser Anhang enthält die von der Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände von Europa, dem Europäischen Gewerkschaftsbund und dem Europäischen Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. EG Nr. L 14 1998 S.9, Nr. L 128 S.71). Aufgrund der Übernahme als Anhang in die Richtlinie 97/81/EG stellt diese Vereinbarung einen Bestandteil der Richtlinie dar und nimmt an deren Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten teil. Diese sind verpflichtet, ihr Recht den inhaltlichen Vorgaben der Rahmenvereinbarung anzupassen (Artikel 288 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union).
  2. Die Rahmenvereinbarung verfolgt den Zweck, Benachteiligungen von Teilzeitbeschäftigten zu beseitigen und einen Beitrag zur Entwicklung der Teilzeitarbeitsmöglichkeiten zu leisten. Sie gilt unbeschadet spezifischer Gemeinschaftsbestimmungen, insbesondere derjenigen zur Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Männern und Frauen. Dementsprechend schreibt § 4 Nr. 1 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG vor, dass Teilzeitbeschäftigte gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten grundsätzlich nicht nur deswegen schlechter behandelt werden dürfen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind. Nach § 4 Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG gilt, wo dies angemessen ist, der „Pro-rata-Grundsatz; Teilzeitbeschäftigung darf sich nur in quantitativer, nicht aber in qualitativer Hinsicht von gleicher oder gleichwertiger Vollzeitbeschäftigung unterscheiden. Davon erfasst sind nach § 4 Nrn. 1 und 2 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG Entgelte für Arbeitsleistungen und damit auch Leistungen der Altersvorsorge wie das Ruhegehalt, die nach Grund und Höhe auf das Beschäftigungsverhältnis zurückzuführen sind. Derartige Leistungen sind danach entsprechend dem zeitlichen Verhältnis der Teilzeit zur Vollzeit strikt zeitanteilig zu gewähren.
  3. Diesen europarechtlichen Vorgaben entspricht zwar § 6 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1, nicht jedoch Satz 4 BeamtVG. Die in Satz 4 angeordnete gekürzte Anrechnung der Ruhegehaltfähigkeit von Ausbildungszeiten knüpft gerade nicht an deren zeitlichen Umfang, sondern an die späteren Freistellungen an, die ihrerseits entsprechend ihrem zeitlichen Umfang nur anteilig als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden. Dies führt zu einer qualitativen Schlechterstellung der betroffenen freigestellten Beamtinnen und Beamten. Es erfolgt eine Kürzung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit und damit des Ruhegehalts über den Zeitanteil der Teilzeitbeschäftigung hinaus.
  4. Rechtfertigungsgründe für diese überproportionale Schlechterstellung der Teilzeitbeschäftigung können auch nicht aus dem hergebrachten beamtenrechtlichen Grundsatz der Hauptberuflichkeit hergeleitet werden. Die Geltung des Proportionalitätsgebots ist Folge der Grundentscheidung des Gesetzgebers, Teilzeitbeschäftigung zu ermöglichen.
  5. Daher steht auch § 12 Abs. 5 BeamtVG dem § 4 Nrn. 1 und 2 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG entgegen.
  6. Auch die Kürzung der Zurechnungszeit nach § 13 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 4 BeamtVG ist nicht mit § 4 Nrn. 1 und 2 des Anhangs der Richtlinie 97/81/EG vereinbar.

Das BVerwG hat entschieden: Um die volle Wirksamkeit des europarechtlichen Proportionalitätsgebots als Ausprägung des Gebots der Entgeltgleichheit für die Teilzeitarbeit und des Rechtsschutzes für die benachteiligten Beamtinnen und Beamten zu gewährleisten, ist es geboten, die damit unvereinbaren Kürzungsregelungen des § 6 Abs. 1 Satz 4, des § 12 Abs. 5 und des § 13 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG nicht anzuwenden. Der eindeutige Wortlaut dieser Vorschriften lässt eine europarechtskonforme Auslegung nicht zu. Daher stellt die Nichtanwendung das geeignete und erforderliche Mittel dar, um den Vorrang des Europarechts zur Geltung zu bringen.

Die Kürzungsregelungen des § 6 Abs. 1 Satz 4 und des § 12 Abs. 5 BeamtVG verstoßen außerdem gegen Artikel 3 Abs. 1 GG, § 13 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG verstößt gegen Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Aufgrund der europarechtlich gebotenen Nichtanwendung dieser Vorschriften kommt es jedoch darauf nicht entscheidungserheblich an.

Die sich aus dem vorstehenden Urteil ergebenden Regelungen werden im Bezugserlass aufgenommen.

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