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Kopftuchbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.1.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 - ; Auswirkungen auf Niedersachsen
RdErl. d. MK v. 26.8.2015 - 14 - 03 019 (27) (SVBl.9/2015 S. 419) - VORIS 20480 -

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.1.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 - gibt Anlass zu folgenden Hinweisen:

1. Kerninhalt der Entscheidung

Das BVerfG hat in dem o.g. Beschluss festgestellt, dass ein „landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (...) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloßen abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität (...) unverhältnismäßig“ ist. Erforderlich ist „eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss“. Der Beschluss gilt unmittelbar zunächst nur für Nordrhein-Westfalen.

2. Rechtslage in Niedersachsen

Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG darf das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften in der Schule, auch wenn es von einer Lehrkraft aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen gewählt wird, keine Zweifel an der Eignung der Lehrkraft begründen, den Bildungsauftrag der Schule (§ 2) überzeugend erfüllen zu können. Im Hinblick auf das Tragen des islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft wurden bisher unter Zugrundelegung des sog. objektiven Empfängerhorizonts automatisch entsprechende Zweifel angenommen. Die Vorschrift wirkte damit als präventive Verbotsnorm.

3. Auswirkungen der Entscheidung auf Niedersachsen

Das BVerfG hat nunmehr entschieden, dass ein auf das Tragen des islamischen Kopftuchs durch eine Lehrkraft an einer öffentlichen Schule gerichtetes präventives Verbot gegen die Verfassung verstößt und damit unzulässig ist. Entsprechende Normen können aber geltungserhaltend ausgelegt werden und Grundlage für ein Verbot aufgrund einer konkreten Gefahrenlage im Einzelfall sein.

Auch § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG ist im Lichte dieser Entscheidung verfassungskonform auszulegen und kann nicht mehr als präventive Verbotsnorm aufgefasst werden.

Danach ist es grundsätzlich zulässig, dass Lehrkräfte in Niedersachsen ein islamisches Kopftuch oder andere religiös konnotierte Kopfbedeckungen im Dienst an öffentlichen Schulen tragen. Ausnahmen davon können sich nach den Ausführungen des BVerfG im Hinblick auf einen Eingriff in Art. 4 GG nur im Einzelfall aus einer konkreten Gefahrenlage ergeben. Dafür muss eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität vorliegen. Aus einer solchen konkreten Gefahr folgen dann Zweifel an der Eignung i. S. d § 51 Abs. 3 Satz 1 NSchG, da der Bildungsauftrag zum einen nur unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist und er zum anderen auch nur erfüllt werden kann, wenn der dafür erforderliche Schulfrieden gewahrt wird.

Eine entsprechende hinreichend konkrete Gefährdung der genannten Schutzgüter ist nach den Ausführungen des BVerfG „etwa in einer Situation denkbar, in der - insbesondere von älteren Schülern oder Eltern - über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags ernsthaft beeinträchtigte, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte“.

Auch bei Vorliegen einer konkreten Gefährdung sollte jedoch die Anordnung des Dienstherrn, vom Tragen des islamischen Kopftuchs oder einer anderen religiös konnotierten Kopfbedeckung Abstand zu nehmen, das letzte Mittel sein. Im Anschluss an die Ausführungen des BVerfG sollten im Interesse des Grundrechtsschutzes der Betroffenen zunächst andere Maßnahmen wie z. B. eine andere Verwendungsmöglichkeit der Lehrkraft an der Schule oder eine (Teil-)Abordnung in Betracht gezogen werden. Nur wenn in Ausnahmefällen als letztes Mittel die Weisung erteilt wird, ohne islamisches Kopftuch oder eine andere religiös konnotierte Kopfbedeckung zu unterrichten, wäre bei einer Weigerung zu prüfen, ob eine Dienstpflichtverletzung bzw. eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten vorliegt und ggf. disziplinarische oder arbeitsrechtliche Schritte wegen der Nichtbefolgung einer Weisung einzuleiten sind.

Im Hinblick auf die Einstellung in den Schuldienst ist zu beachten, dass das beabsichtigte Tragen eines islamischen Kopftuchs oder anderer religiös konnotierter Kopfbedeckungen für sich genommen ohne Vorliegen einer konkreten Gefahrenlage nicht als Eignungsmangel gewertet werden darf und somit eine Einstellung nicht hindert.

Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die von § 51 Abs. 4 Satz 1 NSchG und § 53 Abs. 2 NSchG umfassten Personengruppen. Im Übrigen weise ich auf § 56 Abs. 1 NBG (Unzulässigkeit einer Verhüllung des Gesichts) in diesem Zusammenhang hin.

4. Weiteres Vorgehen

Das Vorliegen einer hinreichend konkreten Gefahr bemisst sich jeweils an den besonderen Umständen des Einzelfalls. Bei Auftreten eines Konfliktes ist das MK auf dem Dienstweg über den Sachverhalt und die beabsichtigte Konfliktlösung zu informieren. Entscheidungen über das weitere Vorgehen sind seitens der Schulen nur vorbehaltlich vorheriger Abstimmung mit der Niedersächsischen Landesschulbehörde zu treffen. Ist absehbar, dass der Konflikt keiner einvernehmlichen Lösung zugeführt werden kann, ist dem MK mit Entscheidungsvorschlag zum weiteren Vorgehen zu berichten.

5. Schlussbestimmungen

Dieser RdErl. tritt am 1.9.2015 in Kraft.

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